Quelle: leichtathletik.de
von: Pamela Ruprecht
Sprinter Julian Reus (TV Wattenscheid 01) hat am Freitag beim Abendsportfest in Erfurt den 28 Jahre alten deutschen Hallenrekord über 60 Meter eingestellt. In 6,53 Sekunden holte er sich nach dem deutschen Freiluft-Rekord über 100 Meter (10,05 sec) damit die nächste nationale Bestmarke. Wie schwer der Rekord zu knacken war, warum man die Kirche trotzdem im Dorf lassen sollte und was der brisante Auftakt für das weitere Olympiajahr bedeutet, erzählte der 27-Jährige am Tag darauf im Interview.
Julian Reus, wie fühlt es sich an, nun auch in der Halle - zeitgleich mit Sven Matthes - der schnellste Deutsche zu sein?
Julian Reus:
Es ist schon was ganz Besonderes, wenn man über 100 Meter und über 60 Meter Rekord-Mitinhaber ist. Vor allem, weil ich immer das Gefühl hatte, dass die 6,53 Sekunden ein Rekord sind, der es extrem in sich hat. Das war für mich sehr anspruchsvoll, weil ich wusste, dass schon sehr, sehr viel passen muss, damit man diese Zeit läuft. Umso schöner, dass das gestern gelungen ist.
Der Rekord währte bereits 28 Jahre. Sieht man an dem langen Zeitraum von 1988 bis 2016, wie schwer es ist, in diese Region zu laufen?
Julian Reus:
Es gab immer wieder mal Athleten, die relativ nah dran waren: Wenn ich an Marc Blume denke oder Christian [Anm. d. Red.: Blum; 6,54 sec 1999] und Lucas [Jakubczyk], die schon eine 6,56 gelaufen sind. Über 60 Meter sind aber diese drei, vier Hundertstel nochmal ein Stückchen mehr als über 100 Meter. Auf den 60 Metern muss man einen sehr, sehr guten Lauf erwischen und eine sehr gute Form haben. Das hat gestern einfach alles zusammen gepasst.
Hatten Sie den Rekord eigentlich vor dem Abendsportfest überhaupt im Visier?
Julian Reus:
Nein, hatte ich nicht. Den Rekord hatte ich diese Hallensaison gar nicht auf dem Schirm und bin auch gar nicht mit dieser Zielstellung in die Wettkämpfe gegangen. Nach 6,57 [sec im ersten Lauf] wusste ich schon, dass es noch ein bisschen schneller gehen kann. So etwas kann man aber nicht planen oder erhoffen. Das muss man auf sich zukommen lassen und ich habe es geschafft, im zweiten Lauf noch was draufzupacken.
…und das zu diesem frühen Zeitpunkt der Hallensaison. War das schon das optimale Rennen?
Julian Reus:
Das ist schwer zu sagen. Man kann jetzt nicht erwarten, dass ich reihenweise in den Bereich laufe. Dazu muss emotional Vieles passen. Dazu muss man 100 Prozent topfrisch sein. Mein Ziel ist es, bei den nächsten Wettkämpfen konstant Zeiten unter 6,60 Sekunden zu laufen. Dort ist die internationale Konkurrenz dabei, die Stresssituation nochmal ein bisschen höher. Für mich gilt es, Rennen zu machen, mit denen ich zufrieden bin und dabei zu lernen, mit dem psychischen Druck umzugehen. Ich will für die 100-Meter-Rennen draußen souveräner werden. Über 60 Meter ist die Drucksituation noch höher, weil weniger Fehler verziehen werden, das will ich in die nächsten Rennen mitnehmen. Ob es am Ende der Saison noch schneller werden kann, weiß ich nicht. Da sollte man die Kirche auch ein bisschen im Dorf lassen und das Ganze auf sich zukommen lassen.
Ein Blick auf die verschiedenen Renn-Phasen: Wie explosiv sind Sie aus dem Startblock gekommen?
Julian Reus:
Wenn man 6,53 gelaufen ist, hatte man in dem Rennen keine wirkliche Schwäche. Wenn es aktuell noch eine kleine Verbesserungsmöglichkeit gibt, dann ist das im Beschleunigungsbereich der Fall. Im Bereich von 30 bis 60 [Meter] ist das in den ersten Wettkämpfen schon sehr ordentlich gewesen. Daran gilt es in den nächsten Tagen nochmal zu arbeiten.
Das Rekord-Rennen fand in Ihrer täglichen Trainingshalle statt. Wie stark war der Heimvorteil?
Julian Reus:
Das ist natürlich schön, dass bei so einem Wettkampf viele Leute dabei sind, die sonst nicht zu Wettkämpfen kommen, weil sie es zeitlich nicht schaffen oder weil sie zu weit weg sind. Das gibt einem natürlich ein schönes Gefühl, aber das als Heimvorteil zu deklarieren, würde ich so nicht sagen. Klar ist es eine gewohnte Umgebung, aber das muss auch nicht immer ein Vorteil sein. Wenn man dort ständig ist, kann auch der Reiz fehlen.
Ihre nächsten Stationen sind Düsseldorf (3. Februar), Berlin (13. Februar), Chemnitz (20. Februar) und die Hallen-DM in Leipzig (27./28. Februar). Ist die Hallen-WM in Portland (USA) Ende März nach dem Leistungssprung weiter außen vor?
Julian Reus:
So ist der aktuelle Stand. Hallen-WM fällt raus. Sie findet zu spät statt. Die Qualifikation für die EM und Olympia ist einfach wichtiger. Vor allem hat man dafür nicht viel Zeit und viele Wettkämpfe. Die zwei, drei Wochen, die man durch eine Hallen-WM verlieren würde, muss man einfach nutzen, um den Sommer vernünftig vorbereiten zu können.
„Deutscher Sprint ist geil!!!“ - lautete das Fazit von Sven Knipphals (VfL Wolfsburg; 6,73 sec), der eine persönliche Hallen-Bestleistung aufstellte, auf Facebook. War der Abend in Erfurt ein gelungener Auftakt für die DLV-Sprinter in die Olympiasaison?
Julian Reus:
Ich denke schon. Es ist ein gutes Signal für den kompletten deutschen Sprint, was die Staffel Richtung Olympia und Europameisterschaft angeht. Sven ist Bestleistung gelaufen, auch Christian ist nach seiner Achillessehnenverletzung wieder belastbar. Das ist zum Anfang der Saison schon ein gutes Zeichen. Der komplette Sprint-Kader sieht, was möglich ist. Aber trotzdem müssen wir nach der Hallensaison weiterarbeiten in Richtung Olympia, so dass man die Ergebnisse auch mit in den Sommer transportieren kann.
Wie haben Sie den Rekord gefeiert?
Julian Reus:
Gar nicht groß. Ich hatte noch eine Doping-Kontrolle. Wir waren irgendwann um halb eins zu Hause. Da feiert man dann nicht mehr viel, auch weil noch ein paar Wettkämpfe anstehen. Man ist danach mental auch ein bisschen K.O. Und ich bin dann auch froh, wenn ein bisschen Ruhe einkehrt. Ich muss das ganze Wochenende nicht mehr trainieren und kann die Sportsachen erst mal zwei Tage in der Ecke stehen lassen kann. Das gönne ich mir.
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